Da weinen die Rehe von Rantzau – 2. C feiert Pokal-Erfolg am Waldrand
Neue Trainerin, neuer Co-Trainer, neue Saison: Die 2. C Deerns starten frisch durch. Und wie: Mit 6:1 gewinnt der 2009er Jahrgang von Altona im Pokal bei Rantzau. Jubel in Schwarz-Weiß-Rot, Ultras stürmen die Coaching-Zone. Nur die Rehe am Waldrand drehen enttäuscht ab.
Da denkt man, man fährt nach Rantzau. Doch die Realität an diesem Sonntagmorgen ist eine andere: Man fährt nach Barmstedt. Kleinste Stadt im Kreis Pinneberg, 30 Kilometer von der Heimat an der Baurstraße entfernt. Dort liegt die Sportanlage Düsterlohe. An diese grenzt ein Wald, der Rantzauer Forst heißt. Und auf der Sportanlage spielt der SSV Rantzau, ein vor 110 Jahren gegründeter Verein. Das alles ist nun etwas verwunderlich. Denn die Gemeinde Rantzau liegt weit weg von der Sportanlage des Spiel- und Sportvereins Rantzau. Mehr als hundert Kilometer weit weg zwischen Plön und der Ostsee. Tja, das ist ein charmantes kleines Rätsel, für dessen Auflösung wir tief ins Mittelalter zurückspulen müssten… Später.
Eins ist viel wichtiger an diesem Sonntagmorgen: Die 2. C Deerns von Altona 93 stehen vor dem ersten Spiel der jungen Saison. 1. Runde im Pokal, auswärts gegen das Team des SSV Rantzau. Ein Neustart für den 2009er Jahrgang. Einige Spielerinnen haben das Team verlassen und unterstützen jetzt die 1. C. Dazu hat eine neue sportliche Leitung die weitere Ausbildung des hoffnungsvollen Jahrgangs in ihre Hände genommen. Frauke und Stephan betreuen nun die 2. C. Und nach nur zwei Trainingseinheiten unter der Woche steht gleich ein wichtiges Auswärtsspiel auf dem Plan. Eine Wundertüte: Wie werden die Deerns – angetreten zum Spiel auf dem 7er-Feld sind Annie, Clara, Emilia, Louise, Lucie, Marla, Nora und Tomma – sich schlagen? Wird die kurzerhand zur Torhüterin umgeschulte Nora sich zwischen den Pfosten behaupten? Konnten Frauke und Stephan in der extrem kurzen Vorbereitung schon ihre Spielphilosophie vermitteln? Und werden die beiden Rehe, die drüben am Waldrand forsch übers Feld schauen, den Platz stürmen, wenn die Heimmannschaft zurückliegt?
Um das alles gleich kurz zu beantworten: Gut, ja, ja und nein. Vom Anpfiff um 10 Uhr an übernimmt eine Mannschaft das Spiel: Altona. Ein erster Ausflug der Gastgeberinnen in die Altonaer Hälfte wird von Annie und Louise in der Abwehr freundlich unterbunden. Ein das Spiel eröffnender Pass auf Lucie im Mittelfeld, die sich hier als neue Spielmacherin sofort mit der ungewohnten Verantwortung vertraut macht, ihrer drei Köpfe größeren Gegenspielerin Bauerzöpfe in die Beine knotet und einen schönen Steckpass zu Clara folgen lässt, der von Altonas Stürmerin sofort in Richtung Tor verwertet wird: 1:0 in der 2. Minute für Altona.
Ein Auftakt nach Maß. Hier steht ein Team auf dem Platz, das in der Folge teils wie entfesselt spielt. 4. Minute: Flanke von Linksfuß Marla aus dem linken Halbfeld, Tomma steht rechts am Strafraumeck, holt aus, sie wird doch nicht? Doch sie wird, sie hält sich nicht mit Ballstoppen oder Abwehraustanzen auf und zimmert den Ball volley unter die Latte, 2:0 für Altona! Jubel in Schwarz-Weiß-Rot. Und die Ultras von Altona unterbrechen ihre Schweinebaumel-Choreo am Geländer und rennen aufgeregt in die Coaching-Zone, Emotionen pur. Trainer Stephan hat mit seinen Töchtern Paulina, 6, und Marlene, 9, den vermutlich jüngsten Fanclub Altonas mitgebracht, die sofort nach Betreten der Sportanlage ihre Ultra-Block-Picknickdecke hinterm Tor ausgebreitet hatten. Gebt mir ein A, gebt mir ein L…
Das Spiel bleibt recht einseitig, mit ein paar Ausnahmen. In der 20. Minute wird Tormädchen Nora gleich zwei Mal gefordert, und wie. Die Stürmerin von Rantzau dribbelt sich von der Mittellinie kommend durch alles durch, was sich ihr in den Weg stellt und läuft frei aufs Tor von Atona zu. Nora sprintet mutig nach vorne, verkürzt den Winkel und wirft sich in den strammen Schuss wie Manuel Neuer in seinen besten Tagen. Kurz darauf die gleiche Situation: Glanzparade Nora an der Strafraumgrenze, Altona steht hinten sicher. Dann geht’s auf der anderen Seite Schlag auf Schlag: Lucie schnellt durch die Abwehr wie ein Hase bei der Hakenschlag-WM, guckt sich die Torhüterin aus und schiebt ein zum 3:0. Marla zieht zwei Minuten später zentral ab, gehalten. Annie kommt aus der Abwehr nach vorne, knallt den Ball wie einen Strich aufs Tor, wieder gehalten. Dann Tomma, wieder volley, diesmal aber kracht der Schuss an die Torlatte, so dass aus dem Wald hinterm Tor entrüstet ein Schwarm Schwalben aufflattert. Von den Rehen übrigens ist nichts mehr zu sehen. Rantzauer Modefans…
Und so verpassen sie das erste Tor für die Heimmannschaft. Drei Minuten vor dem Halbzeitpfiff krönen die Gastgeberinnen einen schönen Angriff mit einem unhaltbaren Schuss zum 1:3 aus ihrer Sicht. So aber wollen die Deerns von der Baurstraße nicht in die Halbzeitpause gehen: Kurz vor dem Seitenwechsel wuchtet Emilia ein Pfund an die Querlatte. Der Abpraller wird von Marla abgefangen und in einem gemütlichen Vormittagsspaziergang über die Torlinie begleitet, 4:1 für Altona.
In der 2. Halbzeit lassen es die Mädchen der 2. C etwas ruhiger angehen. Spielkontrolle lautet das Motto. Und manch Spielerin hat von Trainerin Frauke und Co-Coach Stephan eine kleine Spezialaufgabe bekommen, die es umzusetzen gilt (Genaueres wird aber hier natürlich nicht verraten…) Dem Dauerpressing von Altona jedenfalls entspringt eine Vielzahl schöner Spielzüge. Annie und Louise ersticken nun jede Angriffsbemühung der Rantzauerinnen im Keim und eröffnen das Altonaer Spiel mit cleveren Pässen ins Mittelfeld oder gleich direkt in den Sturm. Dort spielen Lucie, Marla, Emilia, Tomma und Clara (eine Spielerin muss dabei jeweils auf der Bank Platz nehmen) ein ums andere Mal feine Doppel-, Triple- und Quadrupel-Pässe.
Zwei Mal noch überwinden die Altonaer C-Mädchen die tapfere Torhüterin von Rantzau, Clara gelingt ein Doppelschlag, am Ende steht es 6:1 für Altona. In der 2. Pokalrunde geht es nun am 1. Oktober in einem sicher nicht leichten Spiel gegen die 1. C von Victoria, die dank eines Freiloses in der 1. Runde nun erst in den Wettbewerb eingreifen darf. Dann aber dürfte die Anfahrt zum Sportplatz keine geografischen Rätsel aufrufen. Altona hat Heimrecht.
PS: Mit allen, die wissen möchten, warum Rantzau in Barmstedt und nicht in Rantzau spielt, machen wir jetzt spontan eine kleine Geschichts-Exkursion. Wir stellen uns dafür bitte in Zweierreihen auf, fassen uns an den Händen und laufen kurzerhand einige Jahrhunderte rückwärts ins ausgehende Mittelalter. Damals gab es überall feine Damen und Herren, die in Schlössern wohnten und es sich (oft leider auf Kosten von weniger feinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern) gutgehen ließen. In Schleswig-Holstein, was damals zum Teil noch dänisch war, hatte es sich das Adelsgeschlecht der Rantzauer gemütlich gemacht. Zu der Sippe gehörte im 17. Jahrhundert auch Christian zu Rantzau, Ritter und Reichsgraf, was eine Menge Ruhm (und Reichtum) bedeutete. 1649 erwarb er das Amt Barmstedt, das daraufhin von Kaiser Ferdinand III. ein Upgrade zur Grafschaft Rantzau erfuhr. Das ehemalige dänische Amt Barmstedt wurde damit zum Hauptort der Grafschaft Rantzau.
Im Verlauf der Jahrhunderte aber erkoren die von Rantzaus, eine der mächtigsten Familien der norddeutschen Ritterschaft, eine andere Gemeinde zum Hauptsitz ihrer adeligen Patchwork-Familie: eben jene am Plöner See. Ihr Name aber – nachhaltiges Branding – verblieb im heutigen Kreis Pinneberg und bezeichnet wesentliche Landmarken. Zum Beispiel den Rantzauer Forst, den Rantzauer See und natürlich den örtlichen Fußballverein, den SSV Rantzau. Der wurde übrigens 1912 gegründet, im gleichen Jahr also wie der FC St. Pauli 30 Kilometer weiter südlich. Die Barmstedter Zeitung schrieb zu diesem Anlass in der Ausgabe vom Sonntag, den 20. April 1912: „Das beste unter allen Spielen ist ohne Zweifel Fußball. Kein anderes Spiel wirkt so intensiv fördernd auf den ganzen Organismus ein, keins aber ist auch so geistig anregend wie dieses. Einheitlich im ganzen Aufbau wie in dem dem Spieler vorschwebendem Ziel bietet es doch so außerordentlich anregende Kombinationen, daß es einerseits dem Spieler gespanntestes Interesse abnötigt und den Zuschauer mit faszinierender Gewalt fortreißt.“
Tja, dem ist nicht viel hinzuzufügen, außer dass wir „daß“ heute „dass“ schreiben. Und außer vielleicht dieses: Das bedeutendste Sightseeing-Highlight von Barmstedt ist ein Baum, eine etwa 800 Jahre alte Eiche, die aber der Einfachheit halber als „Tausendjährige Eiche“ die Touristen anlockt. Außerdem spielte Detlef Bucks Film „Karniggels“ zum Teil in Barmstedt. Geschichtsstunde ist aus, ab in die Pause.