„Der Ball muss zappeln“

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Fritz, der alte Trainerfuchs, wird 80 Jahre alt. Am 31. Dezember, am Silvestertag. Anlass genug, eine Ikone des Hamburger Mädchenfußballs zu würdigen. Und wie machen wir das bei Altona 93 am besten? Wir lassen den Jubilar reden. Stellen ein paar Flaschen Bitter Lemon auf den Tisch, sein Lieblingsgetränk, bauen ein Mikrofon auf und lassen den Grandseigneur des Grandplatzfußballs ein buntes Leben Revue passieren. Forza, Fritz!

Fritz, Bälle, Blumen: Ein besseres Bild gibt es nicht, um dem Jubilar zum 80. Geburtstag zu gratulieren.

Fritz, Du wirst am Silvestertag 80. Wie feierst Du Deinen Geburtstag?

Den feiere ich gar nicht. Nee, lass mal.

Warum denn nicht?

Nö. Will ich nicht, mach ich nicht.

Geht es wieder ab in die Sonne? Die letzten Jahre bist Du oft an Deinem Geburtstag in die Türkei geflogen…

Ich hatte schon gebucht, Ägypten diesmal. Nun ist Folgendes passiert. Fünf, sechs Eltern von meinen jetzigen F-Mädchen haben mich gefragt, ob wir nicht uns nicht am 31. Dezember treffen wollen. Eltern! Da habe ich gesagt: Ich blase meinen Ägyptenurlaub erstmal ab und mach das! Da treffen wir uns jetzt irgendwo und sind ein bisschen zusammen, tagsüber. Das mache ich. Tolle Eltern. Und dann fliege ich am 5. Januar los, eine Woche Ägypten.

Ein bisschen wird also doch gefeiert.

Tja, offenbar. Ist gut so.

Das T-Shirt sagt eigentlich alles… Ein bisschen wird aber natürlich doch gefeiert.

Wie war das denn, als Du klein warst? Silvester ist ja nicht unbedingt das beste Datum für einen Jungen, um eine Geburtstagsparty mit seinen Freunden zu feiern…

Ich bin ja am letzten Tag des Jahres 1939 geboren. Da war gerade ein paar Monate Krieg. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 gab’s gar keinen Geburtstag für mich. Ich komme ja aus Ostpreußen, das dann von den Russen eingenommen wurde. Wir mussten fliehen. Mein Vater war Soldat, wir wussten nicht, wo er ist, ob er überhaupt noch lebt. Als ich laufen konnte, waren wir schon fast auf der Flucht. 1944, ich war keine vier Jahre alt, wurde Königsberg, meine Heimat, schon in Schutt und Asche gelegt. Ich habe nur vage Erinnerungen an die Zeit. Es brannte. Es herrschte Angst. Wir wurden nach Dänemark verschifft, kamen in ein Flüchtlingslager. Das war hart. Wir waren zu dritt. Meine Mutter, mein jüngerer Bruder, ich. Kein Geburtstag, keine Silvesterfeier. Ich habe, glaube ich, auch nie einen Teddybären gehabt in der Zeit. Richtig los für mich ging es erst 1948. Da kam auch der Fußball in mein Leben.

Erzähl.

Wir landeten ja in Salzgitter in einem Flüchtlingslager, in Niedersachsen. Da war auch mein Vater! Da waren Tanten und Cousinen, meine Großeltern. Wir hatten ein paar Zimmer in einer Baracke aus Stein, das war okay. In einem Wohnheim, so hieß das damals. Im Krieg war es noch ein Lazarett gewesen, eine Krankenstation für verwundete Soldaten. Da haben wir dann Weihnachten und Silvester gefeiert. Das war ganz toll. Wir waren zwei Cousins und zwei Cousinen, die Kinder meiner Tante, die wohnten in Braunschweig. Die Familien feierten zusammen. Silvester wurde sich immer verkleidet. Ich war Cowboy. Das war schön.

Und Dein Geburtstag?

Ach, der fiel irgendwie so mit den Silvesterfeierlichkeiten zusammen. Da gab’s einen Tisch, da lagen meine Geschenke, viel war es ja erstmal nicht, das war auch nicht wichtig. Als ich dann aber anfing Fußball zu spielen, da kamen am 31. immer meine Fußballfreunde. Die rückten dann aus dem Ober- und dem Unterdorf an. Unser Lager lag am Rand von Barum, einem Dorf bei Salzgitter, da gab es zwei Ortsteile, das Oberdorf und das Unterdorf. Wenn die Jungs an meinem Geburtstag kamen, dann hatte Fritz schon ein bisschen was vorbereitet, dann wurde gefeiert. Da war ich aber schon Teenager. Das war quasi das Vorglühen für den Abend. Silvester war Fetenzeit. Da kamen die Mädels dazu, dann wurde geschwoft.

Hast Du damals im Verein gespielt?

Erst einmal nicht. Ich durfte ja nicht, weil ich sehr dünn war. Unterernährt, ein Strich in der Landschaft. Der Arzt sagte: kein Fußball. Hab‘ ich mich natürlich nicht dran gehalten. Wir haben als Jungs jede freie Sekunde gekickt. Im Lager hatten wir so eine kleine Clique, das war unsere Mannschaft. Wir haben uns Spielerpässe selbst gemalt! Einen Fußball aus Lumpen geschnürt, einen Flickenball. An echte Bälle war nicht zu denken. Einer hatte dann zu Weihnachten einen Ball aus Gummi geschenkt bekommen. Keinen echten Fußball, der sah nur so aus. War für uns aber ein Heiligtum! Mit dem wurde nur zu besonderen Anlässen gespielt. So sind wir dann übers Land gezogen, auf der Suche nach Gegnern. Wir haben gegen die Jungs aus dem Unterdorf und dem Oberdorf gespielt. Da war ich so neun oder zehn Jahre alt. Mit den Fahrrädern ging‘s zu den Ausländerlagern, so haben wir das genannt. Da lebten Flüchtlinge aus anderen Ländern. Wir haben gegen die Jungs aus dem Rumänenlager, dem Ungarnlager, dem Russenlager gespielt.

Beim Sommerfest 2017 verabschiedet sich Fritz von seiner damaligen E-Jugend, er übernimmt zur neuen Saison wieder eine F-Mannschaft.

Hattest Du denn nie einen Trainer?

Doch, natürlich. Aber erst recht spät. Ich bin erst mit 15 oder 16 in den Verein eingetreten. In den SV Barum. Das gehörte auf dem Dorf einfach dazu, und ich war dann auch nicht mehr so dünn. Barum, das waren 800 Einwohner, mit allem, was zu einem Dorf gehört. Sportverein, Schützenverein, ein paar Kneipen, ein Tierarzt, ein Polizist. Und Fritz spielte beim SV Barum.

Welche Position hast Du gespielt?

Ich war Läufer. Das gibt’s ja heute so nicht mehr.

Erklär‘ mal.

Das war so eine Art Mittelfeldspieler. Damals haben wir sehr offensiv gespielt. Die Aufstellung war wie ein Tannenbaum, auf die Spitze gestellt. Ein Torwart, davor zwei Verteidiger. Das waren echte Verteidiger, das sag‘ ich Dir. Die haben den Gegner angeguckt. Die Gegner kamen auf unsere Verteidiger zugelaufen. Und die haben die Stürmer angegriffen. Und heute, was ist heute? Da stehen sie rum, die sogenannten Verteidiger, und versuchen hinter die Angreifer zu kommen. In der Hoffnung, dass die Gegner in die Abseitsfalle laufen. Wir hatten Verteidiger damals, richtige, die verteidigt haben. Es gibt da so einen schönen Spruch: An mir kommt entweder der Ball vorbei, oder der Gegner, aber nie beide. So war das. Aber zurück zur Aufstellung. Vor den Verteidigern war die Dreierreihe, linker Läufer, Mittelläufer, rechter Läufer. Da war ich einer von. Mittelläufer, das war so ein klassischer Ausputzer. Dann kam die Stürmerreihe, Linksaußen, Rechtsaußen. Und der Mittelstürmer. Das war der, der die Tore gemacht hat. Der konnte köppen, der hatte den scharfen Schuss. Zwischen Stürmern und Läufern, also dem Mittelfeld, gab es noch zwei, die hingen etwas zurück, fütterten die Angreifer.

Fritz mag es bis heute old-fashioned. Seine Aufstellungen notiert der engagierte Jugendtrainer zum Beispiel gerne auf seinem recyclebaren Analog-I-Pad.

Beim Thema Abseits wird der Trainer in Dir wach. Wie bist Du überhaupt zum Mädchenfußball gekommen? Eigentlich warst Du ja Lehrer.

Das hängt auch zusammen. Ist eine lange Geschichte. Die kurze Version: Selbst spielen konnte ich schon früh nicht mehr. Bänderriss mit 23 Jahren, Gips, Krankengymnastik, erstes Training, nächster Bänderriss. Das war’s mit meiner Karriere als Fußballer. Ich bin über viele Umwege schließlich in Ostfriesland gelandet, in einem Dorf direkt hinterm Deich an der Nordsee. Leybuchtpolder. 13 Kilometer von Norden entfernt, der nächsten Kleinstadt. Mitte der Siebziger war das. Ich hatte Pädagogik studiert und nach mehreren Anläufen auch das Examen geschafft. War ein wilde Zeit damals, und Fritz war nicht immer bei der Sache. (lacht) Na, und dann bin ich an dieser Schule für Lernbehinderte gelandet, so hieß das damals. Eine Förderschule für Kinder, die Probleme mit dem Lernen hatten. Und an der Schule, da habe ich zum ersten Mal ein Mädchen kicken gesehen. Die Louise war das, und ihre beiden Schwestern spielten auch. Du musst wissen, das war nicht normal damals. Der DFB hat ja erst 1970 überhaupt das Frauenfußballverbot aufgehoben. Vorher durften Frauen kein Fußball im Verein spielen. Das muss man sich mal vorstellen. Dass dann da die Louise kickte, auf dem Schulhof mit den Jungs, das hat mich interessiert. Die hat sogar im Verein gespielt! Toll. Ich war ja auch immer so ein Querkopf. Ein Unorthodoxer.

Und Louise hast Du dann trainiert?

Nicht so schnell, mein Freund. Nein, zum Trainieren hat mich der Sascha gebracht. Der Sohn von Nachbarn, dem habe ich Nachhilfe in Deutsch gegeben. Ihm auch bei seiner Kriegsdienstverweigerung geholfen und ihn dann später für seine Prüfung zum Altenpfleger gecoacht. Der Sascha, der spielte beim FC Norden Fußball, war da auch Trainer für eine Jungsmannschaft. Und er trainierte zudem die Mädchen in Leybuchtpolder. Da brauchte er auch Unterstützung. So um 1990 herum muss es gewesen sein, da bin ich mit eingestiegen. Zunächst habe ich nur die Hütchen aufgestellt. Eines Abends aber fand ich den Ballsack mit sämtlichen Pässen und einem Begleitschreiben vor der Tür. „Fritz, kannst Du bitte weitermachen“. Tja, dann war ich also plötzlich der Trainer der Mädchen vom SV Leybuchtpolder, F- und E-Mädchen. 20 Mädchen waren das, dann bald 40. Hab‘ ich eben zwei Mannschaften draus gemacht, kennst mich ja. Ich kann Dir sagen… Fritz hatte einen alten VW Bulli-Bus. Damit ging es jedes Wochenende übers Land, Spielerinnen einsammeln. In Leybuchtpolder selbst wohnten ja nur vier oder fünf Spielerinnen. Den Rest habe ich für die Spiele auf den Dörfern eingesammelt. Dann ging es zu den Auswärtsspielen. Moordorf, Greetsiel, Dornum, Hage, Neuharlingersiel… Die weitesten Fahrten, die gingen bis hinter Jever, da sind wir 70 Kilometer und mehr gefahren.

Bänderriss? Fritz hat bis heute eine vorbildliche Schusshaltung.

Und dann bist Du irgendwann nach Hamburg und zu Altona 93 gewechselt…

Gemach, der Herr. Erstmal bin ich nach Norden gegangen, zum Sascha. In Leybuchtpolder gab’s ein bisschen Ärger. Ein paar Mütter opponierten, wollten das Training dann selbst machen. Hab‘ ich mich verabschiedet und eben beim FC Norden den Mädchenfußball mit aufgebaut. Wir haben sogar eine Damenmannschaft gegründet. Ich war aber eher für den Nachwuchs zuständig. Ha, das war Pionierarbeit, sag‘ ich Dir! Die Liga-Mannschaft vom FC Norden war ja empört, dass da plötzlich Mädchen auf ihrem heiligen Rasen spielten. Da waren wir auch mal in der Umkleidekabine, die Mädels wollten sich ja auch umziehen, da kam dann die Herrenliga reinmarschiert, da gab‘s erstmal schön Zoff. Hilft ja alles nichts. Das Besondere war, ganz zuerst hatte ich noch ganz junge Spielerinnen dabei, F-Mädchen. In ganz Niedersachsen gab es aber keine F-Mädchen-Staffel. Ich hatte nachgeforscht, die nächste Mannschaft wäre wohl in Göttingen gewesen. 450 Kilometer! Da habe ich dann die Mädchen bei den Jungs angemeldet. Hä, hä, die Mädchen haben da ganz schön aufgetrumpft, möchte ich sagen. Das kannst Du glauben. Die Jungs hatten oft das Nachsehen. Es wurden dann immer mehr Mädchen, ich hatte dann drei und mehr Mannschaften. Das wollten die beim Verein aber nicht und haben gesagt, Fritz, nur eine Mannschaft. Da hab‘ ich dann aufgehört.

In Altona fand Fritz eine neue fußballerische Heimat – und feierte manche Erfolge. Hier posiert die damalige E-Mannschaft 2017 nach einem dritten Platz bei einem Turnier in Bremerhaven samt Trainer. Wer findet den Fritzfuß?

Und bist nach Hamburg gegangen?

Erst nach Salzgitter zurück, weil meine Mutter krank war. 2003 ist sie gestorben, und im Jahr drauf bin ich nach Hamburg gezogen. Ich musste mich entscheiden, wohin, und aufs Dorf wollte ich nicht zurück. Eine Nichte von mir lebte in Hamburg, die sagte, Komm‘ her Fritz. Da bin ich hierhergezogen.

Du wohnst ja Richtung Blankenese. Wie bist Du überhaupt zu Altona 93 gekommen? Rissen, Nienstedten, Ko-Mädchen – hätte ja auch Alternativen im Westen gegeben.

Ich wollte erst nur gucken. Mich gemütlich aufstützen und Fußball gucken. Hatte ich in Salzgitter zuletzt auch gemacht. Hatte in Hamburg dann hier geguckt, da geguckt. In Lurup, in Wedel. Dann auch in Altona. Da kam dann der Trainer der Frauenmannschaft auf mich zu, den kannte ich schon ein wenig, und der sagte „Hey Fritz, ich habe hier vier Mädchen, die möchten gerne Fußball spielen. Willst Du das nicht machen?“ Zu der Zeit gab es bei Altona die Frauen, dann noch eine C-Mannschaft, vielleicht eine D, da bin ich mir gar nicht mehr so sicher. Darunter war nichts. Sag‘ ich also: „Jo, kann ich ja mal machen“. In der Hallensaison 2004/2005 habe ich dann angefangen. War interessant. Erst waren es vier Mädchen, dann acht, dann hatte ich schon genug für eine E-Mannschaft. Dann kamen die Freundinnen aus der Schule und die kleinen Schwestern nach, und ich hatte plötzlich schon vier Mannschaften. Ja, so ging das los.

Die drei großen F der Altonaer Fußballleidenschaft: Freitag, Fußball am Trenknerweg, Fritz. Magische Momente gab es zum Beispiel dann, wenn der Nebel von der Elbe hoch aufs Othmarscher Hochplateau wallte und den Grandplatz in eine Zauberwelt des Mädchenfußballs verwandelte.

Am Trenknerweg, im Staub und im Schlamm?

Auch, klar. Aber auch an der AJK. Erstmal gab’s im jungen Bereich gar nicht so viele Mädchenmannschaften. Toto in Blankenese war schon dabei mit seinen Komädchen, dann drüben in Altenwerder, da war der Egon, dann tauchte auch die Moni von Eilbek auf. Da haben wir so Spielrunden veranstaltet, weil’s sonst nicht genügend Spiele gab, mit zehn, zwölf Mädchenmannschaften. Ich hatte die ganze AJK für mich, da wurden vier Felder gebaut, dann wurde Fußball gespielt. War ne Menge Vorbereitung, hat enorm viel Spaß gemacht. Und natürlich, der Trenknerweg.

Man weiß ja, schlechtes Wetter ist dann, wenn Fritz eine lange Hose trägt. Und einen unbespielbaren Platz, den gibt’s gar nicht…

Ja, warum nicht? Einige Mädchen haben‘s nachgemacht. Die sind jetzt noch dabei. Lotta, die spielt heute in der B bei Sven, die kam bei mir auch bei Eiseskälte, bei Schnee und hartgefrorenem Grand in kurzen Hosen. (lacht) Ich glaube, da hatte ich sogar ich die lange Jogginghose an. Wie Oscar Wilde schon sagte: Fußball ist nur was für harte Mädchen, aber nichts für zarte Jungs. Man kann auf jedem Platz spielen. So habe ich das auf dem Dorf kennengelernt. Wir hatten damals in Barum einen Sportplatz, ja. Den konnte man aber nicht wirklich als Sportplatz bezeichnen. Zwei Tore, und dazwischen ein Acker. Da hat sich so mancher Gegner die Haxen gebrochen. Wir, wir kannten jedes Loch. Da wurde auf Kuhweiden gespielt, auf Asche-Plätzen, im Staub, im Schlamm. Von daher, dem Trenknerweg trauere ich hinterher, ja, muss ich sagen. Nix gegen die Baurstraße, ist ein tolles Ding. Schöne Anlage. Aber der Bolzplatz um die Ecke, der geht verloren. Ball untern Arm, übern Zaun auf den Platz, kicken. So muss es sein.

Unbespielbarer Platz? Nicht mit Fritz.

Verrate doch mal Deine Trainingsphilosophie. Den Mädchen gefällt’s ja offenbar. Da hört kaum eine auf, wenn sie erst einmal von Fritz begeistert worden ist.

Ja. Es wird nach vorne gespielt. Nach vorne. Manchmal lässt sich ein Ball zurück nicht vermeiden, das ist klar, aber es muss nach vorne gespielt werden. Deswegen habe ich auch nichts mit dem modernen Fußball am Hut. Abseitsfalle. Fallenfußball. Wenn ich das nur höre. Falle, Abseitsfalle. Das habe ich von einem in Stade zum ersten Mal gehört. Falle, das hat der fast ausgespuckt. Du, habe ich gesagt, du bist mir sympathisch. Wie kann ich Fußball als Falle verstehen? Da stehen die dann alle in einer Reihe, und wenn du Glück hast, hat einer die Fußspitze im Abseits. Dann wird Abseits gepfiffen. Jetzt kommen sie mit Technologie an. Ha, sagen die, jetzt kann nichts mehr passieren, jetzt haben wir die Kalibrierungslinie. Ach, wenn ich das schon höre, Kalibrierungslinie. Da lache ich doch drüber. Diese Linie ist dicker als ein Fuß lang ist. Die verdeckt quasi den Fuß. Und dann sagen die Dämlacks, die Reporter: Es war knapp, aber eindeutig, Abseits. Wenn du ein bisschen Physik kannst, Geschwindigkeit ist Strecke durch Zeit, und wenn das mal so ein bisschen untersuchst, Geschwindigkeiten vergleichst, da kommst du auf ein Intervall von zwei bis drei Metern, die ein Spieler zurücklegt vom vermeintlichen Zeitpunkt, an dem der Ball den Fuß verlässt, bis die Kalibrierungslinie ins Spiel kommt.

Du bringst deinen Mädels also nicht die Abseitsfalle bei?

Ne. Deshalb vermutlich fange ich auch immer wieder bei den ganz Jungen an, wo das noch nicht wichtig ist. Ich würde ja schon gerne mal weiterkommen mit einer Mannschaft. Einmal bin ich bis zur C gekommen, aber dann haben sie mir doch wieder eine F gegeben. Meine Philosophie ist eben „small is beautiful“, das ist meine Weltsicht. Dezentralisieren. Es muss nicht perfekt sein. Es darf auch mal ein Fehlpass kommen. Ich meine mich ganz gut einschätzen zu können, ich glaube, ich habe noch nie einen Fehlpass einer meiner Spielerinnen kommentiert. Ich habe höchsten mal gestellt: Deck die da, passt auf die da auf, sowas.

Taktikfritz Fuchs, äh, Taktikfuchs Fritz: Nie bei einem Fehlpass schimpfen – eigentlich eine gute Trainingsphilosophie.

Eines Deiner wesentlichen Trainings- und Motivationsmittel sind ja Gummibärchen. Vielleicht funktioniert das einfach nicht bei älteren Spielerinnen.

Vermutlich. (lacht) Ne, da sind andere Dinge gefragt. Da müsste ich kostenlose Instagram-Accounts oder so verteilen. Versteh‘ mich nicht falsch, mir bringt die Arbeit mit den ganz jungen Mädchen viel, viel Spaß. Man wächst aber auch zusammen, da hat man dann bisweilen eine Träne im Knopfloch, wenn man eine Mannschaft dann weitergibt.

Deine Mädels bleiben aber immerhin am Ball. Was ist dein Motivationsgeheimnis?

Ach, die Frage habe ich schon ein bisschen erwartet, mein Guter. Nein, ich habe kein Geheimnis. Mir kommt sicher meine Erfahrung als Lehrer zugute. Auf der Sonderschule ist eben, wie auf jeder Schule, Empathie gefragt. Da kommt es nicht so sehr auf Inhalte an, sondern vor allem darum, wie man etwas vermittelt, wie man im Kontakt ist. Nimm jeden, und jede, wie sie ist. Als Trainer habe ich ja nicht so die große Qualifikation. Ich habe aber meine Erfahrungen im Umgang mit jungen Menschen. Wie gesagt, da kommentiere ich nicht jeden Fehlpass. Da freut es mich, wenn ein Mädchen, das vermutlich nie in einer Auswahl spielen wird, trotzdem einen Riesenspaß hat und eben am Freitagnachmittag im November im Schlamm gegen die Pille tritt. Oder eben jetzt auf dem Kunstrasen. Es geht um die Ansprache, wie gehe mit der einzelnen um.

Altonaer Wetter-App: Wenn Fritz kurz trägt, ist gutes Wetter.

Das ist ja auch sportlich erfolgreich. Du hast 2008 den Hamburger E-Mädchen-Pokal geholt mit Deinem Team.

Ja, gegen Grünweiß-Eimsbüttel. Die Trainerin, das war die Annika, die ist auch heute noch bei den Grünweißen dabei. Wenn wir uns bei Spielen treffen, in der Halle kommt das ja öfter vor, dann reden wir gerne drüber. Ich vielleicht noch etwas lieber. (lacht) 2:1, mit unserem Siegtreffer ungefähr 20 Sekunden vorm Abpfiff. Grandios reingezimmert. Schöne Sache. Jule und Eliza, das waren damals meine Spielerinnen, die haben dann zehn Jahre später als Trainerinnen auch den Pokal geholt.

Kommt da bei Dir ein väterlicher Trainerstolz auf?

Ach, nö. Nein, nee. Das wird immer so vermutet. Fritz, du bist ja nicht verheiratet uns so, du wohnst alleine, da sind die Fußballmädchen deine Familie, deine Töchter, die du nie hattest. Ja, das klingt ganz putzig. Ist aber nicht so. Klar, als Trainer freut mich das. Ich bin auch persönlich immer ganz angetan, wenn ich ein Frauenspiel sehe und da läuft dann eine von meinen früheren Spielerinnen über den Platz. Da gibt es so einige. Asli, Dilara, Juli, und wie sie alle heißen. Das finde ich gut. Wenn ich da ab und zu mal eine entdecke, die ich früher trainiert habe. Es ist ja nicht selbstverständlich, so lange bei der Stange zu bleiben. Viele drehen ab, wenn’s als Teenager andere Interessen gibt.

Unikat, gern getragen: Fritz und sein „F-Power“-Hoodie, einst von engagierten Eltern überreicht.

Zu Deinen großen Talenten gehört es auch, Eltern zu motivieren. Wie machst Du das? Es ist ja nicht jedermanns Sache, am Sonntagmorgen im Nieselregen beim Auswärtsspiel in Halstenbek-Rellingen ein F-Jugend-Spiel anzuschauen…

Ach, die musst du nehmen wie sie sind. Da muss ich nicht groß motivieren. Ich freue mich, wenn ich ein paar Aktive dabei habe, denn irgendwie müssen die Mädchen ja auch da hinkommen, nach Halstenbek-Rellingen. Meinen Bulli habe ich ja heute nicht mehr. Wenn ich anbiete, wenn ich mich für die Mädchen einsetze und für sie rackere, dann merken das die meisten. Dann merken die Eltern, das ist nicht bloß so ein Larifari-Heini, der da ein bisschen mit den Töchtern herumkickt, nein, der meint das ernst, der tut was, der ist hinterher. Ich frage ja auch nach, wenn eine mal ein paar Wochen nicht zum Training kommt. Es ist ja auch nicht immer leicht. Da gibt‘s Trennungen, da gibt’s Patchwork, da gibt’s Väter, die mit der Tochter übers Wochenende wegfahren, dann hat die Mutter fürs nächste Wochenende Pläne, und dazwischen sitzt ein Mädel, das Fußball spielen will. Ich bewerte das gar nicht, das steht mir nicht zu. Was ich machen kann ist: Fußballtraining anbieten, kicken, mich auf der Ebene kümmern. Ich kümmere mich. Ich bin ein Kümmerer.

Auswärtsfahrt in die Walddörfer: Selbst mitunter unfair zwickende und tretende Gegnerinnen erzeugen in Trainerlegende Fritz Schönroth nur eine milde Gelassenheit.

Da ist dann der Pädagoge gefragt.

Ja. Aber diesen ganzen Kleinkindkram, den mache ich nicht. Das habe ich mir abgeschminkt. Ich habe so eine Zeitschrift für Kinderfußball abonniert, „Fußballtraining Junior“. Schöne Sporttheorie. Umgang mit den Kleinsten. Da heißt es dann „Erzählt Geschichten“. So nach dem Motto, Achtung, da kommen die Räuber, die wollen uns den Schatz wegnehmen, wir sind die Zauber-Polizisten, die das verhindern. Das ist ganz putzig. Mach‘ ich aber nicht. Mit Piraten und so kann ich nichts anfangen. Das einzige, was ich mal sage, in der Halle: Nicht über die Seitenauslinie spielen. Dahinter sind die Krokodile. Ne, ansonsten heißt es bei mir: Spielen, und zwar Fußball. Noch was: Jetzt wollen alle auf die kleinen Tore spielen im Training. Halte ich auch nichts von. Ich weiß aber, damit stehe ich allein im Wald. Diese Zeitschrift, „Fußballtraining Junior“, die hatten mal eine Umfrage gemacht: Was wollt Ihr am liebsten trainieren. Die Kinder sollten das aufmalen. Weißt Du, was dabei rausgekommen ist? Ich bin bald zusammengebrochen. Aufs Tor ballern. Aufs große Tor. Alle stehen in einer Reihe, jedes Kind zimmert einen Ball rein. Das mögen die. Der Ball muss zappeln. Im Netz. Vom großen Tor. Das ist für mich Fußball. Jede will ein Tor schießen. Dann ist alles andere vergessen. Der Ball muss im Netz zappeln. Ende. Aus.

Letzte Frage: Dein Tattoo. Ist das ein Gecko?

Weiß ich gar nicht. Sieht so aus, nicht? Ich hatte mir bei Globetrotter mal ein T-Shirt gekauft, in so einer Australienoptik mit Stammestier vorne drauf. Das wollte ich dann als Tattoo. War eine spontane Entscheidung, vor ein paar Jahren erst war das. Ich mag gern mal was Außergewöhnliches. Mir war wichtig: Der Gecko, wenn’s denn einer ist, der soll nach da gucken. Nach oben den Arm rauf. Nicht in Richtung Hand. Der soll nicht weglaufen. Dableiben und gucken.

Danke, Fritz, für viele Jahre Engagement für den Mädchenfußball! Mögen noch viele Generationen von F-Mädchen in den Genuss Deiner Trainingsphilosophie kommen: „Der Ball muss zappeln“. (c) alle Fotos: Wesselhöft

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